UKIMWI
Der Wettbewerb „startsocial“ unterstützt soziale Initiativen mit Geld und Know-how. Eine davon ist „Jambo Bukoba“ — das Sportprojekt stärkt das Selbstbewusstsein von Kindern in Tansania und setzt sich dabei auch für gesundheitliche Aufklärung ein.
„UKIMWI“ steht in großen Buchstaben auf dem Boden des staubigen Sportplatzes in Bukoba, Tansania. Ukimwi ist Suaheli und bedeutet AIDS. Das Wort haben die Kinder der Grundschule aus vielen kleinen Holzstöckchen zusammengesetzt. Zwei Teams sind gegeneinander angetreten, wie bei einem Staffelrennen. Das Team, das als erstes das Wort gelegt hat, gewinnt. Da steht es nun, für jeden sichtbar. Das macht es leichter, darüber zu sprechen: wie sich das Virus ausbreitet oder wie man sich vor Ansteckung schützt. Das Spiel ist Teil eines Sportwettbewerbs für Schüler, den der Münchner Verein „Jambo Bukoba“ jedes Jahr im Nordwesten Tansanias organisiert. Über 1.000 Menschen sind in das Stadion am Victoriasee gekommen: Schüler, Lehrer, Eltern, Behördenvertreter. Es ist ein heißer Tag, aber vom See weht eine frische Brise über die Zuschauertribüne.
HIV-Infizierte in Tansania
1,4 MIO
Menschen in Tansania sind HIV-positiv
3 von 5
HIV-Neuinfizierten in der Region Kagera sind zwischen 15 und 24 Jahre alt
Quelle: UNAIDS Gap Report 2014
Mittendrin sitzt Clemens Mulokozi, Gründer von Jambo Bukoba. Eigentlich lebt Mulokozi in München, aber auch in diesem Jahr ist er für den Wettbewerb nach Tansania gereist. Er fiebert mit den kleinen Sportlern mit, obwohl es ihm im Grunde um viel mehr geht: „Wir wollen die Kinder über AIDS aufklären und ihr Selbstbewusstsein stärken. Der Sport hilft uns dabei.“ Bildung, Gesundheit, Gleichberechtigung – das sind die Ziele von Jambo Bukoba.
Die Provinz Kagera, in der Bukoba liegt, zählte lange Zeit zu den Gebieten mit dem höchsten Anteil an HIV-Infizierten und AIDS-Erkrankten des Landes. Drei von fünf der neu Infizierten sind zwischen 15 und 24 Jahre alt, vier von fünf in dieser Altersklasse sind Mädchen. Viele von ihnen brechen schon die Grundschule vorzeitig ab – oft wegen Schwangerschaften, HIV-Infektionen oder weil sie früh verheiratet werden. Oft können Jugendliche weder lesen noch schreiben. Die Tatsache, dass AIDS ein Tabu-Thema ist, macht die Aufklärung besonders schwer. „Mir wurde irgendwann klar, wie wenig Chancen diese Kinder haben und dass ich etwas tun muss“, sagt Mulokozi.
Bildung, Gesundheit und Chancengleichheit verbessern die Lebensqualität der Kinder
Sein Vater stammt aus Kagera, seine Mutter aus dem Allgäu. Die Eltern haben sich in den 60er-Jahren in München kennengelernt, wo sein Vater damals Chemie studierte. Clemens hat als Kind selbst in Tansania gelebt, ist dort auch zur Schule gegangen. Als er zwölf Jahre alt war, ging seine Mutter mit ihm und seiner Schwester nach Deutschland zurück. Wenn der heute 51-Jährige an seine Kindheit in Tansania zurückdenkt, erinnert er sich vor allem an die Großeltern, das Barfußlaufen, die frischen Mangos zum Frühstück, die Affen auf Bäumen – aber auch an die Prügelstrafe in der Schule. Von anderen Problemen bekam er damals noch wenig mit. „Ich habe mich erst ab 2006 intensiver mit den Problemen beschäftigt, die die Heimat meines Vaters belasten.“
Mir wurde klar, wie wenig Chancen diese Kinder haben und dass ich etwas tun muss.
Clemens MulokoziDas war das Jahr, in dem sein Vater in Bukoba starb. Mulokozi flog zur Beerdigung nach Tansania. „Dieser Besuch hat mir zum ersten Mal die vielen Missstände vor Augen geführt, die mir als Kind nicht bewusst waren“, erinnert sich Mulokozi. Da war zum einen natürlich das Thema AIDS, aber auch die schwierige Bildungssituation. Die Schulen nutzten teilweise noch dieselben Bücher, aus denen schon sein Vater gelernt hatte. Besonders fiel ihm auf, wie stark Mädchen benachteiligt werden. „Zu 99 Prozent sind sie es, die Wasser holen und im Haushalt helfen müssen. Zwischen Kochen und Waschen bleibt kaum Zeit, für die Schule zu lernen.“
ANALPHABetismus IN TANSANIA
98%
der Kinder in Tansania werden eingeschult
69,4%
können Lesen und Schreiben
Quelle: Auswärtiges Amt
Mädchen und Frauen stark zu machen, bewirkt eine nachhaltige Veränderung
Nach der Beerdigung des Vaters kehrte der studierte Kommunikationswirt zunächst in den Alltag nach München zurück, wo er damals bei einer Bank im Sportsponsoring arbeitete. Doch was er gesehen hatte, ließ ihn nicht mehr los. „Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt: Was ist dir wichtig?“ Die Antwort darauf veränderte sein Leben: „Ich wollte Kindern und Jugendlichen in der Heimat meines Vaters eine Perspektive geben.“ Der Familienvater beschloss, einen Verein zu gründen, der soziales Engagement mit Sport verbindet. „Sport ist universell. Wenn Kinder einen Ball bekommen, sprechen sie eine Sprache.“ Mulokozi ist selbst Marathonläufer, „wenn auch kein besonders Guter“, sagt der 51-Jährige und lacht.
Zwei Jahre später, im November 2008, flog Mulokozi wieder nach Tansania – mit reichlich Enthusiasmus und Tatendrang im Gepäck. In der Zwischenzeit hatte er intensiv an einem Konzept gearbeitet, das Sport und Bildung verbindet. Dass das Projekt kein leichtes Unterfangen ist, war von Anfang an klar – in der Vergangenheit hatte Sport in Tansania keinen hohen Stellenwert. „Sport ist Luxus“, bekam der Deutsche oft zu hören. „Aber ich brauchte dringend einen Ansprechpartner bei den Ministerien für Gesundheit, Bildung, Sport und Familien in Bukoba, der das Projekt vor Ort koordiniert und uns beispielsweise bei Fragen rund um Zoll und Steuern unterstützt. Zum Glück konnte ich die Funktionäre von meinen Ideen begeistern“, erzählt Mulokozi.
Ich wollte nie der reiche Deutsche sein, der mit Geld und Sportartikeln um sich wirft. Mir ist wichtig, dass das Engagement partnerschaftlich ist.
Clemens MulokoziMit der Zusage kam er nach München zurück und stürzte sich in das Projekt: „Anfangs habe ich sehr viel nachts und an den Wochenenden gearbeitet, zusammen mit einer Handvoll aktiver Mitglieder und freiwilliger Helfer.“ Heute engagieren sich über 50 Kollegen ehrenamtlich von Deutschland aus, zwei bezahlte Mitarbeiter sind vor Ort in Bukoba. Seinen Job bei der Bank hat Mulokozi im Oktober 2014 aufgegeben und seither ehrenamtlich für den Verein gearbeitet. Das war – mit Familie – nicht immer ganz leicht. Künftig wird es einfacher: Ab 2017 bekommt der Gründer nun ein Lebensunterhaltstipendium von Ashoka, einer Non-Profit-Organisation zur Förderung von sozialem Unternehmertum. Damit ist er die nächsten drei Jahre abgesichert und kann sich ganz auf sein Projekt konzentrieren. Mut und Durchhaltevermögen zahlen sich inzwischen aus, der Verein hat Einiges erreicht: „Viele Schulkinder haben sich durch Jambo Bukoba zum ersten Mal mit AIDS auseinandergesetzt. Außerdem weiß ich von Lehrern, dass sich durch unser Programm die Noten der Schüler verbessert haben und die Fehlzeiten zurückgegangen sind.“
Jambo Bukoba
Die Initiative hat bereits viel bewirkt: Bis Ende 2015 haben rund 1.200 Lehrer von ca. 1.000 Schulen an den Workshops von Jambo Bukoba teilgenommen und gelernt, wie man Sport mit Aufklärung und Gleichberechtigung verbinden kann. Diese haben Zugang zu etwa 95 Prozent aller Grundschulkinder in der ostafrikanischen Region Kagera, Tansania. Über 6.500 Sportsets hat der Verein an Schulen in Kagera gespendet. Mulokozi und seine Mitstreiter wollen das Konzept weiter ausbauen und expandieren – erst einmal rund um den Victoriasee, dann in ganz Tansania.
Jambo Bukoba setzt auf Lehrer als Vermittler. Hierfür organisiert der Verein regelmäßig Workshops. Die Pädagogen lernen spezielle Spiele, die Sport mit Aufklärung und Gleichberechtigung kombinieren. „Nach den Workshops statten wir die Schulen mit dem nötigen Material wie Bällen und Trikots aus. Die Lehrer sollen die Spiele in den Schulalltag einbauen.“
Ich bin mir sicher: Jambo Bukoba wird noch viel bewegen.
Martin EmeleUnd einmal im Jahr wird das große Sportfest gefeiert. Ein Wettbewerb für die Siegerschulen aus der Region, ähnlich den Bundesjugendspielen in Deutschland. Die verschiedenen Disziplinen hat Jambo Bukoba entwickelt. Neben der Stöckchen-Staffel gibt es beispielsweise ein Fußballturnier mit gemischten Teams. „Wir bringen Mädchen in Situationen, in denen sie Selbstbewusstsein gewinnen und helfen Jungen, Vorurteile abzubauen“, ist Mulokozi überzeugt. Nach dem Wettkampf erhalten acht Gewinner-Schulen einen begehrten Preis: „Wir renovieren Klassenräume, Lehrerzimmer, sanitäre Anlagen und statten die Schulen mit neuen Möbeln aus.“ Dabei bezieht Jambo Bukoba immer die Gemeinden mit ein. Alle müssen beim Umbau mit anpacken. „Ich wollte nie der reiche Deutsche sein, der mit Geld und Sportartikeln um sich wirft. Mir ist wichtig, dass das Engagement partnerschaftlich ist.“
Wenn Mulokozi auf der Tribüne sitzt und die Kinder bei den Wettkämpfen anfeuert, muss er manchmal an den US-amerikanischen Präsidenten denken: „Barack Obama hat seine Wurzeln auch am Victoriasee, in Kenia. Ich sehe mir die Kids in Bukoba an und denke: Da könnten lauter kleine Präsidentinnen und Präsidenten dabei sein. Das Potenzial ist da, wir wollen die Entwicklungsmöglichkeiten schaffen.“ <
startsocial
Mit Jambo Bukoba hat Clemens Mulokozi 2015 die Juroren des deutschlandweiten Wettbewerbs startsocial überzeugt. Dabei werden Gründer sozialer Projekte von Experten aus der Wirtschaft, dem öffentlichen Sektor oder sozialen Institutionen beraten. Nach einer dreimonatigen Coaching-Phase wählt eine Jury aus 100 Projekten die 25 besten Initiativen aus; sieben davon erhalten von Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Auszeichnung. Unter den Bundessiegern war 2015 auch Clemens Mulokozi. Die ProSiebenSat.1 Group hat startsocial 2001 mitbegründet und fördert den Wettbewerb seither: Mitarbeiter unterstützen zahlreiche startsocial-Projekte als Coaches oder sind als Juroren dabei. Einer von ihnen ist Martin Emele, Geschäftsführer ProSiebenSat.1 Produktion, der sich als Coach bei Jambo Bukoba engagierte. Emele ist begeistert von Mulokozi und seinem Projekt: „Der Verein ist bereits auf einem sehr professionellen Stand, daher habe ich Clemens vor allem zu seinen Expansionsplänen beraten.